Wissenschaftsrat fordert Zukunftspakt für das deutsche Wissenschaftssystem

16.7.2013

Am Montag hat der Wissenschaftsrat seine Vorstellungen zu den Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems vorgelegt. Darin fordert er eine Stärkung der Hochschulen als Zentren des Wissenschaftssystems. Ihre Grundfinanzierung soll nachhaltig gestärkt werden; gleichzeitig sollen sie stärker als bisher jeweils eigene Profile ausbilden. Die drei großen Pakte zur Förderung von Forschung und Lehre – Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation und Exzellenzinitiative – sollen in einem „Zukunftspakt 2025“ aufgehen.

Der „Zukunftspakt“ soll nach Ansicht des Wissenschaftsrates eine nachhaltige Finanzierung des Wissenschaftssystems sicherstellen. Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Beratergremiums von Bund und Ländern, betonte bei der Vorstellung der Empfehlungen: „Eines muss klar sein: Wir können nicht immer mehr von der Wissenschaft erwarten, ohne entsprechend in sie zu investieren. Kernpunkt unserer Empfehlungen ist die notwendige Stärkung der Hochschulen über eine verlässliche Erhöhung ihrer Grundfinanzierung.“ Der Wissenschaftsrat schlägt hierzu vor, der jährliche Aufwuchs solle für die Hochschulen mindestens einen Prozentpunkt über der Inflationsrate liegen. Gleiches solle für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen gelten. Diese erhalten gegenwärtig über den Pakt für Forschung und Innovation eine jährliche Steigerung ihrer Mittel um fünf Prozent. „Wir haben einen höheren Handlungsdruck im Hochschulsektor gesehen als bei der außeruniversitären Forschung“, erläutert Marquardt.

Gegenwärtig fließen über die drei großen Pakte – Hochschulpakt, Pakt für Forschung und Innovation und Exzellenzinitiative – umfängliche Mittel zur Förderung von Lehre und Forschung in das Wissenschaftssystem. Die Initiativen laufen allerdings bis Ende des Jahrzehnts aus. Der Wissenschaftsrat drängt daher darauf, schon im nächsten Jahr zu einem abgestimmten Maßnahmenbündel zu gelangen, das eine Weiterführung der über die Pakte angestoßenen Entwicklungen ermöglicht. Er schlägt hierzu einen „Zukunftspakt 2025“ vor, der die erhöhte Grundfinanzierung von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso umfasst wie einen Ausbau der Lehre, die Erhöhung der Programmpauschalen von 20 % auf 40 %, Investitionen in den Hochschulbau, die Weiterführung der Forschungscluster und Graduiertenkollegs aus der Exzellenzinitiative unter dem Dach der DFG, den Erhalt der Landesmittel aus der Exzellenzinitiative und die Förderung regionaler bzw. lokaler Verbundvorhaben.

Teil des Zukunftspakts sollen auch die neuen Liebig-Zentren und Merian-Professuren sein. Die bis zu 40 Liebig-Zentren sollen einer langfristigen Förderung herausragender Schwerpunktbereiche an den Hochschulen dienen. Beim Hochschulpräsidium angesiedelt stärken sie die Hochschulleitung im Bemühen um eine Profilbildung ihrer Einrichtung. Sie können damit auch Instrument zur Verstetigung von über die Exzellenzinitiative eingeworbenen Graduiertenschulen und Forschungsclustern sein. Ein weiteres Element der Profilbildung sollen nach den Vorschlägen des Wissenschaftsrates die bis zu 250, von Bund und Ländern jährlich mit etwa einer Million Euro ausgestatteten Merian-Professuren werden. Sie dienen der Rekrutierung national und international herausragender Wissenschaftler(innen) zur Besetzung von Spitzenpositionen in Forschung, Lehre, Transfer und Infrastruktur. Um die Einrichtung von Liebig-Zentren und die Ansiedelung von Merian-Professuren müssen sich die Hochschulen in einem wissenschaftsgeleiteten, wettbewerblichen Verfahren bewerben.

Der Wissenschaftsrat möchte damit insbesondere eine stärkere horizontale und vertikale Profilbildung der Hochschulen anregen. Dabei sollen sich die Hochschulen nicht nur über die Forschung profilieren, sondern ebenso vielfältige Profile in der Lehre, im Transfer in die Praxis und in Infrastrukturleistungen ausbilden. „Die Fokussierung auf Forschung muss aufbrechen“, so Marquardt. Im Interview mit dem Deutschlandradio fügte er hinzu: „Differenzierung bedeutet auch Ausprägung von Spitzen.“ Aber: „Wir brauchen ein leistungsfähiges Hochschulsystem in der Breite. Es nützt gar nichts, wenn wir eine Handvoll Ivy League Hochschulen haben und der Rest der Landschaft darbt und ist nicht mehr in der Lage, die Qualitätsforderungen zu bedienen.“

Der Wissenschaftsrat ist sich bewusst, dass die Finanzierung des Zukunftspakts „erhebliche Anstrengungen bei Bund und Ländern“ erfordert. „Der Bund muss, genau wie die Länder, in die Verantwortung genommen werden. Bildung und Wissenschaft ist eine nationale Aufgabe. Wir müssen eine vernünftige Arbeitsteilung finden im föderalen System. Und wir müssen die Hürden, die letztlich dabei entstehen, auch überwinden“, fordert Marquardt. Wichtig sei eine „faire Lastenverteilung“ zwischen Bund und Ländern. Gegenwärtig stocken die politischen Verhandlungen über eine Aufhebung des sogenannten Kooperationsverbots von Bund und Ländern im Bildungsbereich. Hierfür ist eine Änderung des Grundgesetzes nötig. „Alle Maßnahmen fliegen auch ohne Grundgesetzänderung“, meint Marquardt, „aber sie fliegen viel schöner mit ihr.“

Einen weiteren Fokus legen die Empfehlungen des Wissenschaftsrates auf die Karriereperspektiven für das wissenschaftliche Personal. U. a. sollen die sehr hohen Befristungsquoten bei den wissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n sinken und soll das wissenschaftliche Personal an außeruniversitären Forschungseinrichtungen stärker in die Hochschullehre eingebunden werden.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka begrüßte die Empfehlungen des Wissenschaftsrates. „Damit werden die Hochschulen als Herzstück des Wissenschaftssystems gestärkt“, wird die Ministerin zitiert. „Die Empfehlungen sind ein zentraler Baustein, um unser Wissenschaftssystem zukunftsfest zu machen und weiter zu stärken“. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, sprach von einem „gelungenem Ensemble gut abgestimmter Maßnahmen, die das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt stärken werden.“ Er betonte aber auch: „Gleich nach der Bundestagswahl kommt es nun zum Schwur: Bund und Länder müssen mit höchster Priorität den vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen Zukunftspakt schließen, wenn sie ihr eigenes Bekenntnis zur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland ernst nehmen.“ Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken begrüßten den Vorschlag zur Stärkung der Grundfinanzierung der Hochschulen. Kritik kam aus der SPD-Fraktion. Deren bildungspolitischer Sprecher Ernst Dieter Rossmann sagte, das Papier erwecke „den Eindruck, als fehlte der nötige Mut zur Erneuerung“. (tm)

Quellen: WR, BMBF, HRK, dpa, Tagesspiegel, Die Welt, SZ, dradio

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